FORUM RUNDBRIEF: Differenziert statt pauschal
Artikel „Differenziert statt pauschal“ des Rundbriefs des Forum Umwelt und Entwicklung von Henning Wilts.
Der Umgang mit Plastik(abfällen) wird immer mehr zur Schlüsselherausforderung für die Erreichung von Nachhaltigkeitszielen: Diese werden ohne Plastik kaum erreichbar sein, mit den linearen Nutzungsmustern führen sie jedoch absehbar in die Katastrophe. Dabei wird kaum diskutiert, wie Länder des Globalen Südens von stärker zirkulärer Plastiknutzung betroffen sein könnten.
Differenziert statt pauschal
Der Diskussion um eine Plastikwende fehlt es an entwicklungspolitischen Perspektiven
Der Umgang mit Plastik(abfällen) wird immer mehr zur Schlüsselherausforderung für die Erreichung von Nachhaltigkeitszielen: Diese werden ohne Plastik kaum erreichbar sein, mit den linearen Nutzungsmustern führen sie jedoch absehbar in die Katastrophe. Dabei wird kaum diskutiert, wie Länder des Globalen Südens von stärker zirkulärer Plastiknutzung betroffen sein könnten.
Kaum ein umweltpolitisches Thema wird so intensiv und häufig diskutiert wie die Verwendung von Plastik und den sich daraus ergebenden Abfällen. Das Thema bekommt aktuell besondere Relevanz, da die Vereinten Nationen den Entwicklungsprozess für ein globales Abkommen zur Beendigung der Verschmutzung mit Plastikabfällen gestartet haben. In diesem Vertrag sollen Rahmenbedingungen für den Umgang mit Plastikabfällen gelegt werden. Außerdem werden fundamentale Fragen zur Verantwortung der Hersteller oder zur grundsätzlichen Bedeutung von Plastik in einer nachhaltigen Welt verhandelt.
Die diskutierten Lösungsansätze nehmen nur in Ausnahmefällen eine entwicklungspolitische Perspektive ein, die deren Konsequenzen für Länder des Globalen Südens differenziert betrachten würde. Diese inhaltliche Lücke ist typisch für die Diskussion um Transformationsprozesse zur Kreislaufwirtschaft: Angesichts der erwartbaren positiven ökologischen und sozio-ökonomischen Netto-Effekte zirkulären Wirtschaftens wird bislang kaum darüber gesprochen, wer zu den Gewinnern oder Verlieren einer solchen disruptiven Veränderung gehören könnte – insbesondere entlang globaler Wertschöpfungsketten.
Plastik als globales Problem
Fakt ist, dass Produktions- und Nutzungsmuster von Plastik zu massiven Umweltverschmutzungen führen, deren langfristige Konsequenzen erst allmählich klar werden. Analysen der OECD haben gezeigt, dass jährlich ca. 22 Mio. Tonnen Plastikabfälle unkontrolliert in der Umwelt landen und dort v.a. maritime Ökosysteme belasten[1]. Dennoch hat sich die weltweite Plastikproduktion in den letzten zwanzig Jahren verdoppelt und selbst optimistische Szenarien gehen von einer weiteren Verdopplung bis 2050 aus. Aktuell werden nur ca. 10 % der Plastikabfälle recycelt, die restlichen Abfälle werden verbrannt oder landen überwiegend auf Mülldeponien, von denen sie häufig durch Wind und Regen in Seen und Flüssen befördert werden. Tatsächlich ist aktuell der überwiegende Anteil an Einträgen von Plastikabfällen in Flüsse und Meere auf wenige Länder zurückzuführen, insbesondere südostasiatische Schwellenländer, in denen es keine ausreichend regulierten Mülldeponien gibt. Wer die Verantwortung allein bei diesen Ländern sucht, verkennt die Dimensionen des internationalen Handels mit Plastikabfällen.
Der Müllexport hängt auch mit den spezifischen Eigenschaften mancher Plastikprodukte zusammen. Dabei zeigt das Beispiel Deutschland, dass viele Produkte nicht recycelt werden können, selbst wenn sie einem geordneten Recycling zugeführt werden. Die Trennung sogenannter Multilayer-Verpackungen mit einer Vielzahl von hauchdünnen Schichten aus unterschiedlichen Kunststoffsorten erfordert im Recycling häufig mehr Energie als die Herstellung neuen Kunststoffs. Anstelle von Recycling treten dann der Müllexport und die Umweltverschmutzung.
Hinzu kommt die globale Verschmutzung mit Mikroplastik, das sowohl in der Nutzung von Kunststoffprodukten entsteht (z.B. durch Reifenabrieb oder bei der Wäsche von Kleidungsstücken mit Kunststofffasern) als auch durch den Zerfall von Plastikabfällen in kleinere Stücke. Mikroplastik findet sich in allen Ecken des Planeten, gleichzeitig gibt es besorgniserregende Hinweise auf potenzielle Gesundheitsrisiken [2].
Konsequenzen eines Verzichts auf Plastik
Vor diesem Hintergrund zeigt sich der akute Bedarf einer „Plastikwende“, der selbst von Lobbyverbänden der Kunststoffverbände nicht mehr bestritten wird: Ein „Weiter so“ findet in der Öffentlichkeit keine Akzeptanz mehr und die Kunststoffindustrie beklagt beispielsweise, dass sich kaum junge Menschen für eine Ausbildung in entsprechenden Unternehmen interessieren.
Die Politik hat auf die öffentliche Stimmung reagiert und hart in den Markt und individuelle Konsumgewohnheiten eingegriffen, beispielsweise in Form der europäischen Einwegkunststoffrichtlinie. Hier wurde eine Reihe von Einwegkunststoffprodukten wie Strohhalme verboten; für weitere Produktgruppen wurden Strafzahlungen erlassen, um die Kosten der Sammlung aus der Umwelt zu decken. Berechnungen im Auftrag des Umweltbundesamtes haben gezeigt, dass sich diese Kosten für Deutschland auf jährlich über 400 Mio. Euro summieren.
Der Verzicht auf Plastik führt i.d.R. nicht dazu, dass sich Konsumgewohnheiten ändern –meistens kommt es zu Materialsubstitutionen mit ökologisch nicht zwangsläufig positiven Ergebnissen: So ist in der Verpackungsindustrie eine Tendenz erkennbar, zunehmend auf Kombinationen aus Plastik und Pappe oder Papier zurückzugreifen, die einen natürlicheren Eindruck vermitteln. Die Ökobilanz der Herstellung ist dabei häufig nicht besser, es kommt zu Verlagerungen der Umweltbelastungen vom Klima auf die Nutzung knapper landwirtschaftlicher Flächen. Je nach Herkunft des Materials können davon Länder im Globalen Süden stärker betroffen sein. Hinzu kommt die schlechtere Recyclingfähigkeit solcher Materialverbünde, unter dem die finanziellen Anreize zur Sammlung fehlen – insbesondere in Ländern, die nicht wie in der EU über verpflichtende Systeme einer erweiterten Herstellerverantwortung verfügen.
Das international beachtete Beispiel des Verbots von Plastiktüten in Kenia hat gezeigt, wie komplex die Folgen solcher augenscheinlich einfachen Lösungen sein können: Plastiktüten hatten Abwassersysteme verstopft, was zu Überschwemmungen in den ärmeren Stadtvierteln z.B. in Nairobi führte – mit entsprechenden Gesundheitsrisiken. Gleichzeitig hat das Verbot den Verlust von ca. 300 Arbeitsplätzen zur Folge, weil die lokal produzierten Plastiktüten durch importierte Papiertüten ersetzt wurden. Aus einer sozialpolitischen Perspektive ist festzuhalten, dass Plastik ein (vielleicht zu) billiges Material ist, dass vielen Menschen zum Beispiel den Zugang zu hygienisch verpackten Lebensmitteln ermöglicht. Möglicherweise umweltfreundlichere Alternativen wie biobasierte Kunststoffe aus nachhaltigen Quellen sind dagegen teurer, was sich grade in Ländern wie Kenia nur bestimmte Bevölkerungsschichten erlauben könnten. Ein pauschales Verbot von (Einweg-)Kunststoff, wie von vielen Akteuren gefordert, ist damit nicht zwingend ein Beitrag zur Nachhaltigkeit und könnte aus einer entwicklungspolitischen Perspektive bestehende Ungleichheiten sogar verschärfen. Darum sind sozialverträgliche und inklusive Lösungen um so wichtiger. Fällt Einwegplastik in bestimmten Gegenden weg, braucht es zeitgleich Maßnahmen, die bspw. eine hygienische Lebensmittel- und Wasserversorgung gewährleisten. Hier können Mehrwegprodukte aus Plastik, wenn es recyclingfähig ist, eine große Rolle spielen.
Zielvision: Nachhaltige Plastiknutzung
Die Welt steht vor einem Dilemma: Es geht weder ohne Kunststoff noch ist eine Fortführung des heutigen Umgangs mit Plastik ökologisch tragbar und sozial akzeptabel. Das 6. Ziel für eine nachhaltige Entwicklung (SDG 6 Sauberes Wasser und Sanitäreinrichtungen) verdeutlicht dieses Dilemma eindrücklich. Ohne die Nutzung von Plastikflaschen und Behälter kann global keine Trinkwasserversorgung erreicht werden. Langfristig muss es darum gehen, geeignete Infrastrukturen aufzubauen, die den Einsatz von Einwegkunststoffen und schwer bis nicht recycelbare Kunststoffe minimieren. Damit stellt sich die Frage nach Zielgrößen eines nachhaltigen Plastikkonsums bzw. nach einem Kunststoffkonsum im Rahmen globaler Grenzen für die Erreichung der Nachhaltigkeitsziele. Ein im Fachmagazin Nature veröffentlichter Aufsatz hat gezeigt, dass die für 2030 prognostizierten Plastikmengen nachhaltig produziert werden könnten – allerdings in fast geschlossenen Stoffkreisläufen mit drastisch erhöhten Recyclingquoten von über 90 %, die wiederum hochtechnische und umstrittene Verfahren wie chemisches Recycling durch Pyrolyse und „Carbon Capture and Use“-Ansätze erfordern würden [3]. Geht man vom vollständigen Einsatz erneuerbarer Energie aus, könnte auch ein gesteigerter Einsatz von Plastik kompatibel mit bestimmten Nachhaltigkeitszielen sein. Damit verbunden wäre nicht nur ein massives Investitionsvolumen in nachsorgenden Umweltschutz wie Recyclinganlagen, die solche Mengen bewältigen könnten, notwendig, sondern auch ein Ausbau nachhaltiger Energieversorgung für diesen Zweck. In diesem Fall wäre sicher auch ein Weniger mehr.
Eine konsequente und effektive Umsetzung einer globalen Herstellerverantwortung erfordert, dass Unternehmen, die Plastikprodukte vertreiben, dafür aufkommen, dass diese ordnungsgemäß entsorgt werden, auch wenn der Abfall an einem entfernten Standort entsteht. Die Rückverfolgbarkeit dieser Verantwortlichkeit ließe sich technisch beispielsweise mittels digitaler Produktpässe längst gewährleisten. Es bedarf jedoch eines regulatorischen Rahmens, der voraussichtlich im Rahmen des UN-Plastikvertrags in den kommenden Monaten geschaffen wird.
Henning Wilts leitet die Abteilung Kreislaufwirtschaft am Wuppertal Institut. Seit 2023 vertritt er die Professur für Circular Economy an der HafenCity Universität Hamburg.
[1] OECD (2022): Global Plastics Outlook. Economic Drivers, Environmental Impacts and Policy Options. Paris.
[2] UNEP (2023): Microplastics: The long legacy left behind by plastic pollution. Nairobi.
[3] Bachmann, M., et al. (2023): Towards circular plastics within planetary boundaries. In: Nature Sustain 6, S. 599–610.