Pressemitteilung vom 21. Juni 2022

Neue Studie: Bremser statt „Game-Changer“ – deutsche Supermärkte verfolgen Doppelmoral und winden sich mit Scheinlösungen aus ihrer Verantwortung zur Plastikkrise

Nicht Recycling, sondern Vermeidung von Plastikmüll muss an erster Stelle stehen – Supermärkte spielen hier eine wichtige Rolle
  • Erste europäische Untersuchung der Plastik-Strategien großer Supermarktketten enthüllt Unverbindlichkeit und Ambitionslosigkeit ­– durchschnittlich wurden nur 13,1 von 100 Punkten erreicht
  • Deutsche Supermärkte fallen weit hinter die europäischen Branchenbesten zurück und zeigen keinerlei Engagement zum Ausbau von Systemlösungen wie etwa Mehrweg
  • Supermärkte verfolgen Doppelstandards und ignorieren insbesondere in Deutschland den Wunsch von Konsument*innen nach weniger Plastikverpackung

Die erste europäische Untersuchung der Plastik-Strategien großer Supermarktketten Unter Verschluss? Was uns Europas Supermärkte über Plastik verschweigen“ ist Ergebnis der Zusammenarbeit von mehr als 20 NGOs der weltweiten Break Free from Plastic-Bewegung, aus ganz Europa, unter Federführung der Changing Markets Foundation.

Die Antworten der europäischen Supermärkte offenbaren einen nahezu vollständigen Mangel an Ehrgeiz in den drei untersuchten Kategorien Transparenz & Performance, Verpflichtungen und Unterstützung einer nachhaltigen Regierungspolitik. Im Gesamtdurchschnitt erreichten die Unternehmen nur 13,1 von möglichen 100 Punkten.

Deutsche Supermärkte erreichten im Schnitt 13,8 Punkte. „Mit einem Jahresumsatz von rund 179,8 Milliarden Euro verfügen die deutschen Supermärkte als Schlüsselakteure in der Plastikkrise durchaus über die Mittel, um als ‚Game-Changer‘ systemische Lösungen voranzubringen, die die Verpackungsflut an der Quelle stoppen. Sie glänzen jedoch mit besonders wenig Engagement zur nachhaltigen Reduktion von Verpackungen und dem Ausbau von Mehrweg. Stattdessen konzentrieren sie sich auf die Recyclingfähigkeit als Hauptstrategie. Dabei ist längst klar: wir können uns aus der Plastikkrise nicht herausrecyceln. Die Supermärkte müssen jetzt auf Mehrweg und Plastikreduktion an der Quelle setzen!“, kommentiert Carla Wichmann, Koordinatorin des Bündnisses Wege aus der Plastikkrise das die Befragung der Unternehmen in Deutschland durchführte, die Ergebnisse.

Die Studie deckt erschreckende Doppelstandards unter den internationalen Einzelhändlern in unterschiedlichen europäischen Ländern auf – selbst bei den am besten abschneidenden Supermärkten. So erzielten die Branchenriesen Aldi Süd und Lidl (Schwarz-Gruppe) im Vereinigten Königreich über 60% bzw. über 40% der Punkte. In Deutschland erreichten sie hingegen nicht einmal die Hälfte davon und ignorieren den Wunsch von Konsument*innen nach weniger Plastikverpackungen.

In Deutschland gaben einzig Rewe und Alnatura an, wie viele Tonnen Plastik sie für die Verpackung ihrer Eigenmarken-Produkte nutzten. Die anderen untersuchten Unternehmen, Aldi Nord und Süd, Edeka, Lidl & Kaufland (Schwarz-Gruppe), Netto und Metro, machten hierzu keine Angaben. Keines der Unternehmen in Deutschland legte Zahlen zum Anteil von Mehrwegverpackungen ihrer Waren vor. Auch erreichten sie keinen einzigen Punkt für Verpflichtungen zum Ausbau von Mehrweg und wiederbefüllbaren Verpackungen. Ein ernüchterndes Ergebnis angesichts dessen, dass Aldi und Lidl, trotz Mehrwegquote, weiterhin auf ressourcen- und energieintensive Einweggetränkeverpackungen setzen und keinerlei Getränke in Mehrwegverpackungen anbieten. Europaweit war Alnatura Deutschland das einzige Unternehmen, welches angab, gesetzlich verbindliche Zielvorgaben für Mehrwegverpackungen zu unterstützen. Eine bedingte Unterstützung solcher Ziele wurde von Rewe, EDEKA und Netto in Deutschland angegeben.

Wichmann resümiert: „Die aus der Studie ersichtlichen Doppelstandards der Unternehmen und die Konzentration auf End-of-Pipe-Lösungen lassen daran zweifeln, dass sich unsere deutschen Supermärkte ernsthaft um die Lösung der Plastikkrise bemühen. Fraglich ist auch, auf welcher Datengrundlage quantitative Verpflichtungen umgesetzt werden sollen, wenn Supermärkte ihre Plastik-Daten nicht transparent machen. Angesichts der Dringlichkeit der Situation sind ambitionierte Strategien und engagiertes Handeln der Supermärkte zur Reduktion von Verpackungen unerlässlich. Das armselige Abschneiden der Unternehmen zeigt einmal mehr, dass gesetzliche und sanktionierbare Vorgaben notwendig sind, um die Verpackungsflut in Deutschland und in Europa zu stoppen. Die Überarbeitung der EU-Richtlinie über Verpackungen und Verpackungsabfälle bietet eine hervorragende Gelegenheit, verschwenderische Praktiken zu beenden und das Angebot unverpackter Waren und Mehrweg in ganz Europa zur Norm zu machen.“

Weitere Informationen:

Das Bündnis “Wege aus der Plastikkrise” ist ein Zusammenschluss verschiedener zivilgesellschaftlicher Organisationen, die sich gemeinsam für die Lösung der Plastikkrise stark machen. Dazu gehören: a tip: tap e.V., Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Greenpeace e.V., Heinrich-Böll-Stiftung, Health and Environment Justice Support e.V. (HEJSupport), Küste gegen Plastik e.V., Surfrider Foundation Germany e.V., Women Engage for a Common Future e.V. (WECF), Zero Waste Germany e.V. und Zero Waste Kiel e.V. “Wege aus der Plastikkrise” ist Teil der globalen Bewegung „Break Free From Plastic“. www.exit-plastik.de

#breakfreefromplastic ist eine globale Bewegung, die eine Zukunft ohne Plastikverschmutzung anstrebt. Seit ihrem Start im Jahr 2016 haben sich mehr als 2.000 Organisationen und 11.000 Einzelpersonen aus der ganzen Welt der Bewegung angeschlossen, um eine massive Reduktion von Einwegplastik zu fordern und auf nachhaltige Lösungen für die Plastikkrise zu drängen. www.breakfreefromplastic.org

Die Changing Markets Foundation (CMF) nutzt die Macht der Märkte, um Lösungen für Nachhaltigkeitsprobleme zu beschleunigen und auszubauen. In Zusammenarbeit mit NGOs, anderen Stiftungen und Forschungseinrichtungen entwickelt und unterstützt CMF Kampagnen, die den Marktanteil von nicht nachhaltigen Produkten und Unternehmen zugunsten von umweltfreundlichen und sozial verträglichen Lösungen verlagern. www.changingmarkets.org

Hintergrund:

Deutsche Kurzfassung und englische Langfassung des Berichts “Unter Verschluss? Was uns Europas Supermärkte über Plastik verschweigen“: https://exit-plastik.de/unter-verschluss/

Positionspapier “Mehrweg” des Bündnisses Wege aus der Plastikkrise: www.exit-plastik.de/re-use

Kompletter Forderungskatalog des Bündnisses “Wege aus der Plastikkrise in Kurz- und Langfassung: www.exit-plastik.de/forderungen

Petition zum Ausbau von Mehrweg auf der Website der EU-weiten #WeChooseReuse-Kampagne von Break Free from Plastic unterstützen: https://wechoosereuse.org/

Zahlen zum Jahresumsatz deutscher und europäischer Supermärkte entnommen aus: EHI Retail Institute (2021): Top 10 der größten Unternehmen im Lebensmittelhandel in Deutschland (2020), https://www.handelsdaten.de/ranking-der-grossten-lebensmitteleinzelhandler-deutschland-nach-umsatz-2020 sowie Retail Index (2022): Rankings and Profiles of Food Retailers in Europe, https://www.retail-index.com/sectors/foodretailersineuropeandworldwide.aspx

Kontaktpersonen:

Carla Wichmann, Koordinatorin “Wege aus der Plastikkrise” c/o HEJSupport, Tel 017672224415, carla.wichmann@exit-plastik.de

Johanna Hausmann, WECF, Senior Policy Advisor Chemikalien, Tel 01738010040, johanna.hausmann@wecf-consultant.org