Pressemitteilung von Break Free From Plastic zum Abschluss der vierten Verhandlungsrunde für ein globales Plastikabkommen (INC-4):
30. April 2024
INC-4-Verhandlungsländer reagieren nicht auf das Ausmaß der Plastikkrise
Beobachter:innen betrachten „Kompromiss“ als unzureichende Antwort der Länder, die sich weigern, die Arbeit an Maßnahmen zur Plastikproduktion voranzutreiben
Ottawa, Kanada | Traditionelles, nicht anerkanntes Territorium des Algonquin-Volkes der Anishinaabeg – Die vierte Sitzung des zwischenstaatlichen Verhandlungsausschusses (INC-4) für ein globales Abkommen zur Beendigung der Plastikverschmutzung endete nach einer Plenarsitzung voller Hindernisse. Der strittigste Punkt wurde bis zum Ende der Sitzung aufgeschoben: die Arbeit zwischen den Verhandlungsrunden, die keine Diskussionen über primäre Kunststoffpolymere beinhalten wird.
Die Länder beschlossen, die Arbeit zwischen den Verhandlungsrunden (intersessionelle Arbeit) zum Finanzierungsmechanismus sowie zu Plastikprodukten, bedenklichen Chemikalien in Plastikprodukten, Produktdesign, Wiederverwendbarkeit und Recyclingfähigkeit voranzutreiben. Die Mitgliedstaaten kamen überein, Beobachter:innen in diese Arbeiten einzubeziehen. Darüber hinaus beschlossen sie, eine Gruppe zur Ausarbeitung von Rechtstexten einzusetzen, die den Text rechtlich prüfen und dem Plenum Empfehlungen vorlegen soll.
Die heutige Entscheidung, Maßnahmen am Anfang des Plastik-Lebenszyklus von der intersessionellen Arbeit auszuschließen, bedeutet, dass es schwieriger sein wird, Maßnahmen zur Verringerung der Extraktion oder der Produktion in den Geltungsbereich des Entwurfs des Plastikabkommens aufzunehmen. Dieser Kompromiss schmälert die Ambition des Prozesses, da er die zentrale Rolle der Plastikproduktion beim Anheizen der Klima-, Biodiversitäts- und Verschmutzungskrise ignoriert. Dies ist nicht nur eine herbe Enttäuschung, sondern auch eine verpasste Gelegenheit, die Ursachen umfassend zu bekämpfen.
Die siebentägigen Verhandlungen in Ottawa haben gezeigt, wer die Verfechter eines ambitionierten Plastikabkommens sind, das den gesamten Lebenszyklus von Plastik, von der Rohstoffgewinnung bis zur Entsorgung, berücksichtigt. Auch haben sie gezeigt, wer die Blockierer sind, die sich den Interessen der Kunststoff- und fossilen Brennstoffindustrie beugen.
Perú und Ruanda zeichneten sich als starke Befürworter eines ambitionierten Abkommens aus, weil sie einen Vorschlag für intersessionelle Arbeiten zu primären Kunststoffpolymeren vorlegten. Dieser zielt darauf ab, den weltweiten Verbrauch von primären Kunststoffpolymeren bis 2040 um 40% gegenüber dem Stand von 2025 zu reduzieren. Der Vorschlag wurde von einer Reihe von Delegationen, darunter Malawi, die Philippinen und Fidschi, nachdrücklich unterstützt .
Zusätzlich zu dem Vorschlag von Ruanda/Perú haben mehrere Länder die “Bridge to Busan Declaration on Plastic Polymers“ (Brücke nach Busan – Erklärung zu Kunststoffpolymeren) ins Leben gerufen. Damit sollen Parteien für die Beibehaltung der Bestimmung zur Adressierung primärer Kunststoffpolymeren im Vertragstext gewonnen werden und eine Dynamik für die fünfte (und letzte geplante) Verhandlungsrunde in Busan, Republik Korea, später in diesem Jahr aufgebaut werden. Es handelt sich jedoch um eine rechtlich nicht bindende Maßnahme, in der die Förderung fossiler Brennstoffe nicht erwähnt wird.
Die „Blockierer“ auf der anderen Seite des Spektrums sind eine kleine Gruppe von polymer- und kunststoffproduzierenden Ländern, darunter Saudi-Arabien, Indien, Kuwait und Katar. Sie versuchten, den Geltungsbereich des Vertragsentwurfs wieder zu öffnen und Zweifel zu säen, um neu zu definieren, was der gesamte Lebenszyklus von Plastik bedeutet. Dies ist offensichtlich der Versuch, den Geltungsbereich des vorgeschlagenen Abkommens auf Fragen der Abfallwirtschaft zu reduzieren.
Obwohl in Ottawa wesentliche Verhandlungsfortschritte erzielt wurden, gehen die Länder mit einem Text nach Hause, der noch nicht für die abschließenden Verhandlungen in Busan geeignet ist. Zwar wurde der Entwurf in gewissem Umfang gestrafft, aber es wurden auch mehr Ergänzungen als Streichungen vorgenommen. Der Text ist folglich mit einer Vielzahl von Optionen und eingeklammerten Wörtern und Sätzen (d.h. noch nicht vereinbarter Sprache) gespickt. Einige wenige Länder setzten ihre Verzögerungstaktik fort – sie verwässerten den Text, fügten zahllose Klammern hinzu und verdrehten schamlos die Sprache in den verschiedenen Bestimmungen, um den Geltungsbereich einzuschränken und die Ambitionen des Vertrages zu schmälern.
Die Vertragsparteien arbeiteten nach einer vorläufig angewandten Geschäftsordnung, die eine Abstimmung über Entscheidungen zulässt, wenn alle Bemühungen um einen Konsens erschöpft sind. Unter dem Druck von Ländern, die den Fortschritt behindern wollen und darauf bestehen, dass es keine Abstimmungen geben darf, haben die Länder jedoch de facto einen auf Konsens basierenden Entscheidungsfindungsprozess angewandt, der die Ambitionen sogar bei Entscheidungen im Zusammenhang mit der intersessionellen Arbeit einschränkt.
Die geringen Ambitionen sind nicht überraschend, wenn man bedenkt, wie sehr die fossile Brennstoffindustrie die Präsenz ihrer Interessen bei den Verhandlungen verstärkt haben. Anfang der Woche ergab eine CIEL-Analyse der UNEP-Liste der INC-4-Teilnehmer:innen, dass 196 Lobbyist:innen der fossilen Brennstoff- und Chemieindustrie registriert sind – siebenmal mehr als die Koalition der Wissenschaftler:innen für ein wirksames Plastikabkommen und siebenmal mehr als der Indigenous Peoples Caucus -, was einen Anstieg von 37% im Vergleich zu INC-3 vor nur sechs Monaten bedeutet.
Auf dem Weg zu INC-5 müssen die Länder unbedingt auf die Forderungen der Indigenen Völker als Rechteinhaber eingehen, die Anspruch auf eine gesunde Umwelt haben. Indigene Völker waren, gemeinsam mit Verbündeten Gemeinschaften der ganzen Welt die der Plastikverschmutzung unmittelbar ausgesetzt sind [“fenceline and frontline communities”], eindeutig in ihren Forderungen. Diese beinhalten den Schutz vor den Schäden durch die Extraktion fossiler Brennstoffe und vor falschen Lösungen wie Verbrennung und chemisches Recycling – was eine Voraussetzung für die Verteidigung ihres Rechts auf eine gesunde Umwelt ist – sowie echte Kreislauflösungen wie nicht-toxische Mehrwegsysteme und andere Indigene Praktiken. Die starke Zunahme und Verschmutzung von Plastik ist ein vielschichtiges und globales Problem. Wir alle sind darauf angewiesen, dass die Länder weiterhin rechtsverbindliche Maßnahmen im Rahmen des internationalen Rechts verfolgen, um sicherzustellen, dass wir uns bis Ende des Jahres auf einen Vertrag einigen, der den gesamten Lebenszyklus von Plastik, von der Rohstoffgewinnung bis zur Entsorgung, berücksichtigt.
Mitglieder von Break Free From Plastic reagieren auf das Ende der dritten Verhandlungsrunde INC-4 für ein Plastikabkommen:
Janelle Nahmabin / Gewähltes Ratsmitglied, Aamjiwnaang First Nation / Turtle Island (Kanada), sagte:
„Aamjiwnaang verließ die Verhandlungen mit dem Gefühl, von unseren indigenen Verwandten und unseren Verbündeten unterstützt und gehört zu werden. Die Indigenen Völker müssen einen Platz am Verhandlungstisch erhalten. Viele von uns setzen sich für einen starken Vertrag ein, der die Gesundheit der Menschen über das Geld stellt. Das ist die Welt, die wir wollen, und für die wir eintreten werden. Wir sind entschlossen, das Momentum aufrechtzuerhalten.“
Frankie Orona / Exekutivdirektor der Society of Native Nations / Turtle Island (Vereinigte Staaten), sagte:
„Die Verhandlungen mit den USA und anderen Ölstaaten haben sich angefühlt, als würde man mit der Industrie verhandeln, die immer den Profit über das Wohl der Menschen und des Planeten stellt. Um einen ambitionierten Vertrag zu erreichen, brauchen wir eine grundlegende Veränderung. Wir brauchen eine intersessionelle Arbeit unter Einbeziehung der Indigenen Völker – die Rechteinhaber mit traditionellem Wissen und einem tiefgreifenden Verständnis für nachhaltiges Ressourcenmanagement sind – sowie der Anwohner:innengemeinschaften [frontline and fenceline communities] – die seit Generationen die Hauptlast der Umweltschäden durch fossile Brennstoffe und petrochemische Produktion tragen.
Indem wir diese oft marginalisierten Gruppen einbeziehen, können wir über das ‚business as usual‘ hinausgehen und einen ambitionierten Vertrag erreichen, der unsere Umwelt schützt, die Menschenrechte respektiert und eine gerechtere und nachhaltigere Zukunft für uns alle und Mutter Erde fördert.“
Larisa de Orbe / Direktorin, Red Mexicana de Acción Ecológica / México, sagte:
„In dieser Phase der Verhandlungen über das Plastikabkommen ist es wichtig, dass die Stimmen Lateinamerikas und der Karibik gehört werden, da unsere Region direkt von den Folgen der übermäßigen Plastikproduktion betroffen ist. Zu diesen Folgen gehören die Probleme, die mit dem Export von Plastikmüll in unsere Länder verbunden sind, was wir als Abfallkolonialismus betrachten, sowie die falschen Lösungen, die in den Gebieten aufgezwungen werden, die das Leben der Gemeinschaften beeinträchtigen und die Umweltungerechtigkeit verstärken.“
Jacob Kean-Hammerson / Ocean Campaigner, Environmental Investigation Agency / Vereinigtes Königreich, sagte:
„Die INC hat es wieder einmal versäumt, die grundlegendste Frage für den Erfolg des zukünftigen Abkommens zu stellen: Wie gehen wir gegen die nicht nachhaltige Produktion von Plastik vor? Es ist zwar wichtig, die finanziellen Aspekte zu erörtern, aber wie können wir über die Mittel zur Umsetzung diskutieren, ohne zu wissen, was wir umsetzen? Wenn wir weiterhin die Forderungen der fortschrittlichen Länder ignorieren und den Blockierern erlauben, die Gespräche als Geisel zu halten, werden wir unser gemeinsames Ziel, die Plastikverschmutzung zu beenden, nicht erreichen.“
Christopher Chin / Gründer und Exekutivdirektor, COARE / Vereinigte Staaten, sagte: „Tausende von Länderdelegierten, Wissenschaftler:innen, NGO-Vertreter:innen und Rechteinhaber:innen der Indigenen Völker sind nach Ottawa, Kanada, gereist, um die Verhandlungen über einen Vertrag zur Beendigung der Plastikverschmutzung fortzusetzen. Doch statt aufrichtigen Engagements und Fortschritten begegneten sie der Blockade- und Verzögerungstaktik von Industrieinteressen und einer kleinen Handvoll Länder, die kein Interesse am Schutz der Gesundheit von Mensch und Umwelt haben. Während der Rest der Welt buchstäblich unter dem Affront des Lebenszyklus von Plastik leidet, verhindern diese Parteien schamlos und wissentlich jede sinnvolle Entwicklung.“
Griffins Ochieng / Executive Director, Center for Environmental Justice and Development / Kenia, sagte:
„Ein umfassendes globales Abkommen, das sich mit Chemikalien in Plastik, einschließlich primärer Kunststoffpolymere, befasst, ist ein Impuls zur Eliminierung der Plastikverschmutzung. Die Bestimmungen über Plastikchemikalien und -polymere sollten rechtsverbindlich, anpassungsfähig und durch unabhängige wissenschaftliche Erkenntnisse gestützt sein. Auf diese Weise bietet das globale Plastikabkommen die Möglichkeit, toxische Chemikalien weltweit zu kontrollieren, die negativen Auswirkungen von Plastik auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt abzuschwächen, die globale Verbreitung von Chemikalien zu verringern und gefährdete Gemeinschaften, insbesondere im Globalen Süden, zu schützen.“
Olga Speranskaya / Co-Direktorin, Health and Environment Justice Support (HEJSupport; Exit Plastik-Mitglied) / Kanada, sagte:
„Für ein erfolgreiches Plastikabkommen sollten sich die Länder auf ein Reduktionsziele für die Produktion von Neuplastik einigen. Recycling löst jedoch nicht die Plastikkrise, da recyceltes Plastik gefährliche Substanzen enthält, die der Gesundheit schaden. Länder sollten sich darauf einigen, Chemikalien in Plastik aufgrund ihrer gefährlichen Eigenschaften einzuschränken und zu verbieten. Die Offenlegung, Nachverfolgung und Kennzeichnung von Chemikalien in Plastik sind entscheidend, um informierte Entscheidungen über die Handhabung von Plastik entlang seines gesamten Lebenszyklus zu treffen.“
Die INC-5 wird vom 25. November bis zum 1. Dezember 2024 in Busan, Republik Korea, stattfinden.
Weitere Reaktionen von BFFP-Mitgliedern und Verbündeten (einschließlich weiterer Länder und Sprachen) finden Sie hier.
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Hinweise für Herausgeber:innen
Fotos und Videos sind hier verfügbar
Karikaturen sind hier verfügbar
POPLites Daily INC-3 Zusammenfassung hier (23. April, 24. April, 25. April, 26. April, 27. April, 28. April)
Über BFFP – #BreakFreeFromPlastic ist eine globale Bewegung, die sich für eine Zukunft ohne Plastikverschmutzung einsetzt. Seit dem Start im Jahr 2016 haben sich mehr als 2.700 Organisationen und 11.000 Einzelpersonen aus der ganzen Welt der Bewegung angeschlossen, um eine massive Reduzierung von Einwegplastik zu fordern und auf dauerhafte Lösungen für die Krise der Plastikverschmutzung zu drängen. Die Mitgliedsorganisationen und Einzelpersonen von BFFP teilen die Werte des Umweltschutzes und der sozialen Gerechtigkeit und arbeiten entlang eines ganzheitlichen Ansatzes, um einen systemischen Wandel herbeizuführen. Das bedeutet, dass die Plastikverschmutzung über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg – von der Rohstoffgewinnung bis zur Entsorgung – angegangen wird, wobei der Schwerpunkt auf der Vorbeugung und nicht auf der Heilung liegt und wirksame Lösungen angeboten werden. www.breakfreefromplastic.org.
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