FORUM RUNDBRIEF: Die Umkehr des Trends – Fair Fashion statt Fast Fashion
Artikel „Die Umkehr des Trends – Fair Fashion statt Fast Fashion“ des Rundbriefs des Forum Umwelt und Entwicklung von Berndt Hinzmann
Die Textil- und Bekleidungsindustrie hat für die Wirtschaften der Produktionsländer hohe Relevanz und ebenso für Europa. Jährlich wächst die Branche und verzeichnet Milliardenumsätze. Dabei stimulieren stetig neue Trends das Geschäft. Während Fast-Fashion den einen immer mehr Profit bringt, intensiviert es die Arbeit in den Fabriken und verschärft die eh schon problematischen Umweltauswirkungen und Arbeitsbedingungen des Sektors. Die dringend benötigten gesetzlichen Sorgfaltspflichten haben diesem Trend auch nach kurzer Zeit schon was entgegensetzen können. Doch nun wurden sie massiv abgeschwächt.
Die Umkehr des Trends
Fair Fashion statt Fast Fashion
Die Textil- und Bekleidungsindustrie hat für die Wirtschaften der Produktionsländer hohe Relevanz und ebenso für Europa. Jährlich wächst die Branche und verzeichnet Milliardenumsätze. Dabei stimulieren stetig neue Trends das Geschäft. Während Fast-Fashion den einen immer mehr Profit bringt, intensiviert es die Arbeit in den Fabriken und verschärft die eh schon problematischen Umweltauswirkungen und Arbeitsbedingungen des Sektors. Die dringend benötigten gesetzlichen Sorgfaltspflichten haben diesem Trend auch nach kurzer Zeit schon was entgegensetzen können. Doch nun wurden sie massiv abgeschwächt.
Deutschland importiert jährlich Kleidung, Lederwaren und Textilien im Wert von über 60 Milliarden Euro. Drei Staaten bilden die wichtigsten Lieferländer: China, Bangladesch und die Türkei [1]. Wobei Bangladesch 2023 den Anteil mit 20,3 % deutlich steigerte. Trotz geringen Rückgangs der Importe in der Coronapandemie wird von einem stabilen Wachstum der weltweiten Textilfaser- und Textilproduktion ausgegangen. Prognosen der Europäischen Umweltagentur besagen, dass der weltweite Konsum von Kleidung und Schuhen bis 2030 voraussichtlich um 63 % – von derzeit 62 Millionen Tonnen auf 102 Millionen Tonnen – ansteigen wird, die Nutzungsdauer von Kleidung sich zeitgleich jedoch reduziere [2]. Dies sind gigantische Produktionsmengen und Warenströme, die aufgrund von enormem Rohstoff- und Wasserverbrauch, Treibhausgasemissionen und Abfall, Mikroplastik sowie Chemikalieneinsatz eine hohe Auswirkung auf die Umwelt haben.
Chemikalien gefährden Umwelt und Gesundheit
Viele ökologische Probleme beginnen bereits bei der Herstellung. 70 % der Kleidung bestehen aus synthetischen Fasern wie Polyester oder Nylon. Der Anteil bei Fast Fashion ist noch höher. Auch bei Schuhen geht der Trend zu synthetischem Gewebe und Fasern, die biologisch schlecht abbaubar und eine Quelle für Mikroplastik sind. Zum Einsatz kommen 3.500 verschiedene Chemikalien, sie machen bunt und knitterfrei, weisen Schmutz ab, sind jedoch umwelt- und gesundheitsschädlich. Ein völlig unterschätztes Thema sind die sogenannten Ewigkeitschemikalien PFAS (per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen), die in der Umwelt sowie im Körper von Menschen und Tieren nicht abbaubar sind. Da sie imprägnieren und dennoch atmungsaktiv sind, finden sie breite Anwendung. Sie können aber das Immunsystem beeinträchtigen oder das Krebsrisiko erhöhen. Darüber hinaus: Da überwiegend gemischtes synthetisches Gewebe eingesetzt wird, bei dem ein praktikables Recycling nicht möglich ist, werden nach kurzem Lebenszyklus viele Bekleidungsstücke zu „Sondermüll“ und kommen in die thermische Energiegewinnung oder landen auf Deponien in Ländern wie Ghana oder Indien [3].
Arbeitsbedingungen sind moderne Sklaverei
Eine andere Dimension sei hier nicht vergessen: die Arbeitsbedingungen, unter denen Bekleidung hergestellt wird. Eine Analyse des Handelsblatt Research Instituts stellt im Zusammenhang mit der Etablierung des Lieferkettengesetzes fest: „Deutschland hat im Jahr 2018 in den Bereichen Elektronik und Bekleidung Waren im Wert von 28,4 Milliarden US-Dollar bezogen, die möglicherweise unter Arbeitsbedingungen produziert wurden, die unter den Begriff der ‚modernen Sklaverei‘ fallen.“ [4] An dieser Situation hat sich in den letzten Jahren nichts grundsätzlich geändert.
Bestehende Beschaffungs- und Einkaufspraktiken der Unternehmen wie kurze Vorlaufzeiten sowie strukturelle Risiken führen dazu, dass internationales und nationales Recht missachtet wird. Überstunden, ein Lohn, der nicht zum Leben reicht und Gesundheitsgefahren sind an der Tagesordnung. Rechte sind beschränkt, da die Vereinigungsfreiheit und Kollektivverhandlung in einer Gewerkschaft nicht gewährleistet sind. Diese strukturellen Missstände sind die Ursache für die massive Verletzung der Menschenrechte. Auf der Onlineplattform textile-incidents.info dokumentieren wir seit 2024 einzelne Fälle. Eine Transformation hin zu einer sozialen und ökologischen Lieferkette wäre dringend geboten.
Gängige Einkaufspraktiken ändern
Die Gesetze zu Sorgfaltspflichten in Deutschland und der EU sowie die EU-Textilstrategie (2022) adressieren die strukturellen Risiken im Sektor und setzen einen Rahmen für Transformation. Genannt seien hier die Erweiterte Herstellerverantwortung (EPR, extended producer responsibility) und die Ökodesign-Verordnung (ESPR, Ecodesign for Sustainable Products Regulation) und natürlich die Richtlinie zu unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Bezug auf Menschenrechte und Umwelt (CSDDD, Corporate Sustainability Due Diligence Directive) sowie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD, Corporate Sustainability Reporting Directive). Diese Ausrichtung und die Sorgfaltspflicht zur Risikominimierung zielen auf eine Veränderung der Einkaufspraktiken der Unternehmen und letztlich auf die Umstellung auf ein nachhaltiges Geschäftsmodell. Deshalb ist die gesetzliche Rahmensetzung der letzten fünf Jahre für Nachhaltigkeit und Sorgfaltspflicht, für die sich breite Teile der Gesellschaft und die Initiative Lieferkettengesetz eingesetzt haben, eine wichtige Umkehr des Trends.
Die gesetzlichen Rahmenbedingungen haben bereits Wirkung gezeigt. Unternehmen haben begonnen, Risiken zu erkennen und abzustellen. Initiativen wie das Textilbündnis bekamen hohe Relevanz, um Themen gemeinsam anzugehen und nahmen bereits etwas vorweg, das unterdessen im europäischen Lieferkettengesetz verankert ist: ein Meaningful Stakeholder Engagement. Gemeint ist damit sinnvolles Engagement mit Gewerkschaften und der Zivilgesellschaft – über den Dialog hinausgehend – für eine soziale und ökologische Umstellung der Einkaufspraktiken und letztlich für Verbesserungen in den Produktionsländern.
Der Erfolg ruft zeitgleich auch Wirtschaftsverbände auf den Plan, die massiv gegen die gesetzliche Rahmensetzung für Nachhaltigkeit und Sorgfaltspflichten vorgehen. Der politische Rechtsruck in den Mitgliedsländern und im Europaparlament bedeutet eine Rolle rückwärts in der EU-Textilstrategie und des Europäischen Green Deal. Die Abschaffung der Regularien sowie des angeblichen Bürokratiemonsters wird nicht nur diskutiert. Die EU-Kommission legte mit dem Omnibus-Vereinfachungspaket des CSRD und CSDDD im Februar eine massive Aushöhlung der Gesetze vor. Gestrichen sind Klimamaßnahmen und die zivilrechtliche Haftung. Neu aufgenommen wurde eine Einschränkung der behördlichen Durchsetzung.
Das hat zur Folge, dass Arbeiter:innen den offensichtlichen Missständen am Arbeitsplatz und in ihren Gemeinden weiterhin ausgesetzt sind. Das Businessmodell, das arbeitsrechtliche oder ökologische Risiken billigend in Kauf nimmt, ja davon profitiert, wird fortgesetzt. Dem gegenwärtigen Trend zu Ultra Fast Fashion wird kein Riegel vorgeschoben.
Fast Fashion verstärkt alle Probleme
Billig produzierte Kleidung mit einer kurzen Nutzungsdauer, wenn sie überhaupt getragen wird: das ist Fast Fashion. Konzerne wie Inditex – mit den Marken Zara und Bershka, H&M und Primark dominieren den weltweiten Fast Fashion-Markt und trotz sich verringernder Filialen im Einzelhandel steigt der Umsatz weltweit. Allein der chinesische Online-Gigant Shein hat innerhalb von fünf Jahren seinen weltweiten Umsatz verzehnfacht.
Insbesondere Shein setzt auf intensives Social Media-Marketing sowie gezielte Rabatte, niedrige Preisen und bezahlte Influencer, was Trends initiiert. Damit Mode schneller im Verkauf landet und kurzlebige Trends bedient werden, werden kurzfristig große Stückzahlen zu extrem niedrigen Preisen eingeflogen. Der Produzent ist vertraglich verpflichtet, in wenigen Tagen Bestellungen zu liefern. Die Produktionsfrequenz der Belegschaften in den kleinen Fabriken erhöht sich. Eine 75-Stunden-Woche für die Näher:innen und tonnenweise Luftfracht sind die Folge. Die täglich hohe Frequenz der Produkte stimuliert den Kauf und die Kurzlebigkeit. Ein Algorithmus analysiert den Verkaufstrend und die Bestellungen von ca. 150 Kleidungsstücken werden platziert, der Produzent ist vertraglich verpflichtet, in wenigen Tagen nachzuliefern, mit der Konsequenz: (Ultra)Fast-Fashion hat massive negative Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen, das Klima sowie die Umwelt. Das Geschäftsmodell stimuliert die Wegwerfmentalität und erhöht das Müllaufkommen. Von den jährlich zwölf Millionen Tonnen Textilien auf dem EU-Markt werden nach Schätzungen vier bis neun % aller Textilprodukte in Europa direkt zerstört, ohne jemals genutzt worden zu sein.
Ein neuer Trend statt „Weiter so“
Mit gesetzlichen Regularien gegen diesen Trend zu steuern, ist mehr als notwendig. Denn die freiwilligen Initiativen der vergangenen 30 Jahre haben die strukturelle Verletzung von sozialen und ökologischen Standards in globalen Wertschöpfungsketten nicht gelöst. Für eine Transformation braucht es das EU-Rahmenwerk, ganz besonders vor dem Hintergrund, dass die Textilproduktion weiter wächst.
Aus zivilgesellschaftlicher Sicht ist festzuhalten: Die bisherigen politischen Entscheidungen zeigen bereits Wirkung. Unternehmen bereiten sich auf gesetzliche Anforderungen vor. Große Wirtschaftsverbände und Multi-Stakeholder-Initiativen, die über 6.000 Mitglieder vertreten (z.B. Amfori, Fair Wear Foundation, Fair Labor Association, Textilbündnis, Grüner Knopf) haben die EU aufgefordert, das verabschiedete EU-Rahmenwerk für die Sorgfaltspflicht im Bereich Nachhaltigkeit nicht aufzuweichen. Die UN-Arbeitsgruppe für Wirtschaft und Menschenrechte sowie 75 Organisationen aus dem Globalen Süden und 25 Rechtswissenschaftler:innen warnen davor, den Rechtstext der CSDDD wieder zu öffnen. Klar ist: Die Probleme und Risiken im Bereich Menschenrechte werden nicht geringer, wenn an überkommenen Geschäftsmodellen festgehalten wird.
Berndt Hinzmann, Referent Wirtschaft & Menschenrechte, INKOTA-netzwerk, gewähltes Mitglied der Zivilgesellschaft im Steuerungskreis des Textilbündnis.
Quellen:
[1] Statistisches Bundesamt (2023): Importe von Bekleidung von Januar bis September 2023 um 14,1 % gegenüber dem Vorjahreszeitraum gesunken, https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2023/11/PD23_434_51.html
[2] Europäisches Parlament (2023): Bericht über eine EU-Strategie für nachhaltige und kreislauffähige Textilien. https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/A-9-2023-0176_DE.html
[3] Europäische Kommission (2022): EU-Strategie für nachhaltige und kreislauffähige Textilien. https://environment.ec.europa.eu/strategy/textiles-strategy_en?prefLang=de
[4] Handelsblatt Research Institute (2021): Sorgfaltspflichten entlang globaler Lieferketten. Eine ökonomische Analyse. https://www.bmz.de/resource/blob/92544/studie-handelsblatt-research-institute.pdf