Offener Brief zur Schließung von Unverpackt – Lose, Nachhaltig, Gut in Kiel
[hier geht es zur Veröffenlichung auf der Seite von Unverpackt-Kiel.de]
Unverpackt – Lose, Nachhaltig, Gut in Kiel war ein Pionier für eine neue Art des Konsums und ein Vorreiter einer echten Kreislaufwirtschaft. Heute gebe ich seine geplante Schließung zum 31. Dezember 2022 bekannt.
Liebe Kund:innen, liebe Unterstützer:innen
und liebe Betreiber:innen von Unverpackt Läden in ganz Deutschland
2014 habe ich in Kiel den ersten Unverpackt-Laden Deutschlands eröffnet. Seitdem ist eine Bewegung entstanden. Das Konzept hat bewiesen, dass alternative und umweltfreundliche Konsummuster in unserer Gesellschaft möglich sind und gleichzeitig den Anforderungen an Hygiene, Digitalisierung und Wettbewerbsfähigkeit gerecht werden.
Inhaber:innen und Geschäftsführer:innen von Unverpackt-Läden setzen mit dem Unverpackt-Konzept auf die Vermeidung unnötiger Einwegverpackungen, auf die Alternative der Wiederverwendung, auf die Reduzierung von Lebensmittelverschwendung, sowie auf eine höhere Wertschätzung von Lebensmitteln. Die Unverpackt-Läden arbeiten darüber hinaus an der Reduzierung von Verpackungsabfällen entlang der gesamten Lieferkette. Damit unterstützen sie das Modell einer ressourcensparenden und effizienten Kreislaufwirtschaft [1]!
Durch das Schärfen des Bewusstseins in der Gesellschaft für die Probleme der Einwegverpackungen nehmen die Unverpackt-Läden oft einen unmittelbaren Bildungsauftrag wahr. Sie haben Gesellschaft, Lieferanten, Medien, die Politik und den Einzelhandel so geprägt, dass das Wort Unverpackt heute ein selbstverständlicher Begriff für diese Art von Lebensmittelgeschäften geworden ist.
Mit dem Laden in Kiel habe ich selbst Seminare angeboten [2], studentische Arbeiten unterstützt, Schulbesuche empfangen, und selbst Publikationen geschrieben [3], oder an Studien teilgenommen [4]. Der Unverpackt Laden in Kiel hat auch zu der Vision einer „Kiel Zero Waste City“ beigetragen, die ich 2018 mit-initiiert habe [5].
Leider wurde der “historisch symbolische” Unverpackt Laden in Kiel, nach einem gesunden wachsenden Erfolg bis 2019 (wie viele andere Unverpackt Läden in Deutschland), von aufeinanderfolgenden Krisen getroffen: fünf COVID-Wellen und nach Russlands Angriff auf die Ukraine von der Angst vor der Erosion unseres Wohlstands. Diese haben die Einkaufs- und Konsumgewohnheiten drastisch getroffen: Social Distancing, vermehrt Home Office [6] und schlussendlich die Rückkehr zum Supermarkt oder Discounter – echte Gewinner, die mittlerweile das Narrativ der Nachhaltigkeit (selten in ehrlicher Weise) in ihre Marketingkonzepte integriert haben.
So habe ich seit 2019 einen erheblichen Rückgang der Kundenzahlen um zwei Drittel erlebt.
Ich habe mich Ihnen gegenüber immer verpflichtet gefühlt, liebe Kund:innen, Mitarbeiter:innen und vor allem Mitstreiter:innen, die nach der Teilnahme an meinen Workshops selbst einen Unverpackt-Laden eröffnet haben. Wir haben (deutschlandweit) , ich habe (lokal) nach Lösungen gesucht!In dem Bewusstsein, dass es sich hierbei nicht um eine Frage der Verwaltung unserer kleinen Läden, sondern vielmehr um ein globales soziales Phänomen handelt, und angesichts der ersten Ladenschließungen in Deutschland haben wir uns bereits im April 2022 gemeinsam mit dem Unverpackt-Verband an die Umweltministerin Frau Dr. Lemke gewandt. Unser Ziel war es, den “Unverpackt- Einkauf” zu fördern, sei es durch Kampagnen, durch Anreize für dieses Einkaufs-Modell, durch die Anerkennung der pädagogischen Funktion der Unverpackt-Läden oder durch die Suche nach rechtlichen Mitteln, das Modell gegen Greenwashing zu verteidigen. Diese Vorschläge wurden m.E. leider nicht angenommen. Wir wurden darauf verwiesen, uns individuell an die Länder zu wenden.
Was ich getan habe… mit Briefen an die Stadt Kiel und die Landesregierung. Es ging mir nicht darum, Zuschüsse zu erhalten (hier gab es durchaus nette Angebote und Konzepte!), die letzten Endes doch nur eine Überbrückung darstellen, sondern darum, mit der Hilfe von kompetenten Experten eine Lösung zu finden, um das Unternehmen wieder zu beleben, eventuell in einer anderen Form, die den Gemeinwohl-Nutzen in den Vordergrund stellt, ein “Unverpackt 2.0”.
Kurz gesagt: schnell einen langfristigen Plan aufzustellen! Es fanden zwar Gespräche statt. Es blieben aber Gespräche und Ideen.
Meine Kraft, durchzuhalten, hat Ihre Grenzen. Vielleicht verpasse ich einen Wendepunkt, an dem sich alles wieder zum Guten wendet. Aber heute habe ich eine Entscheidung getroffen: ich habe 10 Jahre lang mein Herz und all meine Energie in dieses Konzept und Geschäft gesteckt. Ich schließe nun den Unverpackt-Laden am 31. Dezember.
Selbstverständlich würde ich mich freuen, wenn sich eine Nachfolge für den Laden mit frischen Ideen und passendem Konzept meldet: Es ist noch möglich! Ich stehe gerne als Beratende zur Verfügung.
Die Erhaltung von Ressourcen, die Reduzierung von Abfällen und der Aufruf zu einer Änderung des Konsumverhaltens, die kein Verzicht, sondern eine Veränderung unserer Gewohnheiten ist, bleiben für mich wesentliche Themen. Ich werde mich weiterhin in den Umweltvereinen „Zero Waste Kiel e.V.“ [7], „Zero Waste Germany e.V.“ [8], den Bewegungen „Break Free from Plastic“ [9] oder „Exit Plastik“[10] und in meinem Alltag für diese Ideen einsetzen.
Und ich glaube heute mehr denn je: Das Unverpackt Konzept, auch ohne den Laden in Kiel, steht an der Spitze der europäischen und nationalen Ambitionen in Bezug auf Abfallvermeidung und Kreislaufwirtschaft [11] [12] [13], und ist Vorbild für eine Ökologie des Alltags! Ich appelliere auch an die Gesellschaft, alle anderen Unverpackt-Läden weiter zu unterstützen.
Herzliche Grüße,
Marie Delaperrière